Benutzen zum AusnutzenWir alle leben, wenn wir Glück haben, in einem sozialen Umfeld. Damit eine Gemeinschaft funktionieren kann, müssen sich die Mitglieder an gewisse Regeln halten. Ungeschriebene Regeln – tradiert über Generationen. Innerhalb einer Gruppe sind die Regeln im Allgemeinen allen Mitgliedern bekannt. In unserer Zeit hat sich die Durchmischung der einzelnen Gruppen jedoch beschleunigt, der Konsens bezüglich der Regeln ist aber nicht immer gleich schnell mit gewandert.

Die Folge: Verhaltensmuster die in einer Gruppe von allen Mitgliedern gleich bewertet werden, können in einer anderen Gruppe völlig anders gesehen werden. Manches Verhalten, das innerhalb der eigenen Gruppe adequat ist, ist bei "Fremden" vollkommen inakzeptabel. Ein simples Beispiel: Eine Mutter wird ihren Kindern vieles verzeihen, was bei Personen von außerhalb der Familie, sofort zu Ächtung und Meidung führen würde.

Genauso verhält es sich bei der Gewährung von Vergünstigungen, bei Hilfeleistungen, bei Zugeständnissen jeder Art. Was innerhalb der eigenen Kleingruppe völlig selbstverständlich ist (diente es in der Vergangenheit doch immer auch dem Erhalt der Existenzgrundlage der gesamten Gruppe) wird anderen nur gegen "Bezahlung" gewährt. Die Mitglieder einer Gruppe sind sich also von Nutzen, zum Nutzen aller.

Sind nun die Zugehörigkeiten zur Gruppe nicht mehr tradiert, sondern wechselnd, kommt es vor, dass der Nutznieserstatus des Einzelnen ungeklärt ist. Glaubt der Nutznieser nun, er sei vollwertiges Mitglied der Gruppe, wird er Leistungen in Anspruch nehmen ohne auch nur im Entferntesten an eine Gegenleistung zu denken. Er nutzt die "Infrastruktur" der Gruppe zu seinem eigenen Vorteil, im guten Glauben so auch der Gemeinschaft zu dienen. Sehen die anderen ihn aber nicht als "Vollmitglied" werden sie sich, wenn keine Gegenleistung erfolgt, ausgenutzt fühlen. Und davon hat nun wirklich niemand einen Nutzen.

Das größte Konfliktpotential birgt aber eine andere Konstellation: nämlich wenn ein "Neuzugang" seinen Status durch "gegenleistungsfreies" Erbringen einer Leistung verbessern oder festigen will. Womöglich handelt er auch noch unaufgefordert, einfach weil er dazugehören möchte. Bindet die Gruppe ihn daraufhin näher ein ist alles bestens, denn durch solche Gegenseitigkeiten werden Bildungen aufgebaut. Will die Gruppe ihn aber nicht in ihren Reihen wird es schwierig. Nach außen wirkt so ein Verhalten völlig uneigennützig und sozial, nach innen ist es Sprengstoff pur. Nimmt die Gruppe, oder auch ein Einzelner, die Leistung an, ohne den internen Status des Leistenden zu erhöhen, ist das für diesen nicht erkennbar. Vor allem dann nicht, wenn auch keine anderer Gegenleistung von der Gruppe erbracht wird. Der Leistende glaubt dann: "Deal perfekt, jetzt gehör ich dazu, Eintrittspreis ist bezahlt!" Fordert er später eine innerhalb der Gruppe gängige Leistung ein, und wird diese ihm verweigert, fühlt er sich naturgemäß getäuscht, betrogen und ausgenutzt. Da er einige Zeit in dem Glauben gelebt hat, Teil der Gruppe zu sein, kommt die Zurückweisung einem Rauswurf gleich. Die emotionale Verletzung ist ungleich tiefer, als bei einer "einfachen Ablehnung". Entsprechend heftiger ist die Gegenreaktion. Da werden schnell die Trauben zu sauer, obwohl sie "nur" zu hoch hängen. Die ehemals anvisierte Gruppe mutiert zum Feind. Der Krieg ist erklärt, Opfer sind vorprogrammiert.

Dabei wäre es doch so einfach! Geben weil man geben will und nicht weil man bekommen will. Glücklich ist wer "nutzlos" ist und trotzdem umworben und geliebt wird. Glücklich ist wer von Nutzen sein kann und trotzdem nicht benutzt wird. Und glückliche Menschen "nützen" dann wirklich allen . . .

A.K.